Eine Zeit zum Zwischenruf
Predigt von Dr. Bertram Meier, Apostolischer Administrator, am 3. Ostersonntag, 26. 4. 2020
Werft noch einmal die Netze aus! Dem Evangelium der Auferstehung geht es wie
diesem neuen Morgen. Er dämmert ganz langsam. Die Osterbotschaft ist nicht so
greifbar wie die Wunder und Taten zu Jesu Lebzeiten. Jesus lässt sich nicht festhalten.
Er lässt sich von uns auch nicht in die Tasche stecken, selbst wenn wir das mit der
Hostie gern machen würden. Das Erkennen des Auferstandenen ist mühsam und
anstrengend – damals und jetzt. Es braucht viele Begegnungen, Einzelgespräche,
geduldiges Tasten und Spüren in das Geheimnis hinein. Daher bin ich – im Nachhinein
betrachtet – für die zurückliegenden Wochen sogar sehr dankbar. Noch kaum zuvor in
meiner Zeit als Diakon, Priester und Seelsorger wurden mir so viele Zeiträume
geöffnet, um nachzudenken und zu beten, um zu telefonieren und Briefe zu schreiben,
um Emails zu beantworten und für die Zukunft Pläne zu schmieden, die hoffentlich
dem Willen Gottes entsprechen.
Nun deutet sich allmählich Licht im Corona-Tunnel an. Es dämmert – langsam, aber
sicher: Der Herr lebt, damals wie heute. Wie den sieben Jüngern an jenem Morgen.
Als Urgemeinde sitzen sie in einem Boot. Sieben Jünger – sieben wie die Gemeinden
der Geheimen Offenbarung; die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Sieben ist eine
heilige Zahl. Sie meint die Fülle, die Vollkommenheit, das allumfassend Ganze. So
sitzen wir alle in einem Boot. Die ganze Welt sitzt
Eine Zeit zum Zwischenruf
Predigt von Dr. Bertram Meier, Apostolischer Administrator, am 3. Ostersonntag, 26. 4. 2020
Werft noch einmal die Netze aus! Dem Evangelium der Auferstehung geht es wie
diesem neuen Morgen. Er dämmert ganz langsam. Die Osterbotschaft ist nicht so
greifbar wie die Wunder und Taten zu Jesu Lebzeiten. Jesus lässt sich nicht festhalten.
Er lässt sich von uns auch nicht in die Tasche stecken, selbst wenn wir das mit der
Hostie gern machen würden. Das Erkennen des Auferstandenen ist mühsam und
anstrengend – damals und jetzt. Es braucht viele Begegnungen, Einzelgespräche,
geduldiges Tasten und Spüren in das Geheimnis hinein. Daher bin ich – im Nachhinein
betrachtet – für die zurückliegenden Wochen sogar sehr dankbar. Noch kaum zuvor in
meiner Zeit als Diakon, Priester und Seelsorger wurden mir so viele Zeiträume
geöffnet, um nachzudenken und zu beten, um zu telefonieren und Briefe zu schreiben,
um Emails zu beantworten und für die Zukunft Pläne zu schmieden, die hoffentlich
dem Willen Gottes entsprechen.
Nun deutet sich allmählich Licht im Corona-Tunnel an. Es dämmert – langsam, aber
sicher: Der Herr lebt, damals wie heute. Wie den sieben Jüngern an jenem Morgen.
Als Urgemeinde sitzen sie in einem Boot. Sieben Jünger – sieben wie die Gemeinden
der Geheimen Offenbarung; die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Sieben ist eine
heilige Zahl. Sie meint die Fülle, die Vollkommenheit, das allumfassend Ganze. So
sitzen wir alle in einem Boot. Die ganze Welt sitzt gegenwärtig in einem Boot. Corona
zwingt uns dazu. Auch wir sind dabei.
Dieser Sonntag steht schon unter dem Eindruck der sog. „neuen Normalität“. In
unseren Kirchen soll und darf es bald wieder öffentliche Gottesdienste geben, wenn
auch im kleinen, bescheidenen Rahmen. Darüber freuen wir uns. Wir sitzen alle in
einem Boot mit den Jüngern von damals, den Fischern am See von Tiberias. „Ich gehe
fischen“ ruft Petrus seinen Kollegen zu, und ganz spontan antworten sie: „Wir
kommen auch mit!“ Rückkehr in die Normalität nennen wir das heute, zweitausend
Jahre danach, in Corona-Zeiten! Rückkehr in die Normalität: Geht das überhaupt?
Können wir einfach so weitermachen wie zuvor? Dürfen wir das Schiff der Kirche so
weiterlaufen lassen, wie wir das gewohnt waren? Welchen Kurs sollen wir nehmen,
damit die Kirche das Evangelium heute voranbringen kann? Fragen über Fragen!
2
Ich finde, dass es so nicht einfach weitergehen kann. Corona ist für mich ein Wink von
oben, ein Fingerzeig von Gott. „Rückkehr in die Normalität“ heißt eben nicht, einfach
so weitermachen wie bisher: Aufgeschobenes nachholen, Sakramente weiter so
spenden wie gehabt, Seelsorge in ausgetretenen Bahnen praktizieren, wie wir das eh
und je gewohnt sind. Es gibt kein Vorwärts in die Vergangenheit!
Deshalb gebe ich Ihnen ein paar Fragen zum Weiterdenken mit:
- Bald wird für Gottesdienste geöffnet – aber mit begrenzten Zahlen: Sollen wir
wieder hl. Messen – so wesentlich sie für uns als sakramentale Kirche sind –
feiern, auch wenn die Bankreihen nur spärlich besetzt sind, hl. Messen zu jeder
passenden und unpassenden Gelegenheit? Nicht jeder Anlass braucht die
Eucharistie; auch alternative Gottesdienstformen sind wichtig und geeignet,
beim jeweiligen Fest Gott die Ehre zu geben und Leute zusammenzuführen. - Sollen wir weiter so, weil es Tradition ist, die Sakramente mit Getauften feiern,
die erst noch den Glauben im Alltag entdecken und leben müssen? - Läuft nicht eine hl. Messe mit Abstandsregeln, Mundschutz und eventuellen
Kommunionzangen Gefahr, zum „Krampf“ zu werden, wie es Bischof Gerhard
Feige drastisch formuliert hat? Angesichts der Nöte und Leiden derer, die um
ihr eigenes Leben oder das von Verwandten bangen müssen, seien die
Gottesdienstausfälle doch eher Luxusprobleme, meint der für die Ökumene in
Deutschland zuständige Bischof von Magdeburg.
Als Priester, der ich nun bald 35 Jahre im Dienst des Herrn bin, möchte ich das
tägliche Brot der Eucharistie nicht missen. Für mich ist die Feier der Eucharistie
Quelle und Höhepunkt meines Lebens als Christ. Deshalb ist es unter meiner Würde,
diese Frage zum Kampfplatz um die Religionsfreiheit zu machen. Es gibt so viele
Weisen zu kommunizieren: natürlich ganz oben die hl. Kommunion – Jesus Christus,
real präsent in Brot und Wein; dann aber auch die Gemeinschaft, Kommunion im Wort
der Heiligen Schrift; schließlich die Kommunikation untereinander als Leib Christi.
Unsere Gemeinden sind nicht nur eine horizontale Gemeinschaft, sie sind Leib Christi
und wir sollen dabei lebendige Glieder sein. Wenn ich kommuniziere – und ich tue das
z.Zt. stellvertretend für die vielen, die es leibhaft derzeit nicht können, dann sage ich
mir: Christi Leib für dich, und antworte unhörbar: Christi Leib in dir! Diese Erfahrung
wünsche ich auch Ihnen.
3
Doch kehren wir zum See Tiberias zurück! Mit den Jüngern sitzen wir in einem Boot.
Und wir versuchen, das Schiff der Kirche durch die Corona-Krise und die Fluten der
weiteren Geschichte zu steuern: alle Christen, die Kirche sind, die Verantwortlichen
und die Weisen (was ja nicht immer die gleichen sind), die Cleveren und die Trägen,
die ewig Gestrigen und die scheinbar Liberalen, diejenigen, die sich der Anbetung und
dem Lobpreis verschrieben haben und auch die mehr im aktiven Leben stehen, die
Engagierten und alle, die einfach so mitlaufen – wir alle also. Und wir sind heute oft
so erfolgreich wie die Jünger als Fischer in jener Nacht, in der sie nichts gefangen
haben. Ob sie sich schon damals nicht einig waren, welche Richtung das Boot nehmen
soll, wer weiß. Die Netze unseres Glaubens sind meist leer und treiben an der
Oberfläche. Doch die vergangenen Wochen haben vielen neuen Tiefgang gebracht. Ich
weiß von Zuschriften, dass es Menschen gibt, die in der Heiligen Woche das Leiden,
Sterben und die Auferstehung des Herrn in ganz neuer und profunder Weise gefeiert
haben. Ist das nicht ein gutes Zeichen, ja ein Potential für die Zeit danach? Ich hoffe
es. Corona ist für mich, für die ganze Kirche eine Zeit zum Zwischenruf: Ihr könnt
nicht mehr so weitermachen wie zuvor! Steckt eure Köpfe zusammen und bewegt eure
Hände und Füße, um dem Evangelium neue Wege zu den Menschen zu bahnen – nicht
nur zu denen, die sowieso schon drinnen sind, sondern auch zu denen draußen auf
hoher See!
Die Frage, die mich auch für den künftigen Weg des Bistums bewegt, ist: Wie können
wir diese Menschen auf hoher See auffangen, wie können wir sie nähren mit dem Brot
des Lebens im Wort und in der Hostie, aber auch: Womit speisen wir sie ab? Was sind
Angebote, deren Verfallsdatum längst abgelaufen ist? Wie können wir die Menschen
tränken mit dem Wasser des Lebens, dass sie sich taufen lassen oder das Geschenk der
empfangenen Taufe noch einmal neu für sich entdecken?
Ich lege Ihnen diese Fragen heute ans Herz. Jetzt ist eine Zeit zum Zwischenruf, nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Quo vadis, Ecclesia? Kirche, wohin gehst du? Dieser
Zwischenruf könnte auch den Synodalen Weg betreffen, zu dem wir aufgebrochen
sind. Aber vielleicht sind jetzt durch diesen Corona-Zwischenruf neue Themen dran –
Themen, die dem Schiff der Kirche mehr geistlichen Tiefgang geben, ohne die anderen
einfach von der Tagesordnung zu streichen. Ein großes Hoffnungszeichen für mich ist,
dass viele Menschen vom Glück erzählen, das ihnen die Hauskirche geschenkt hat.
4
Wohlgemerkt: Hauskirche, nicht Wohnzimmer- oder Kuschelkirche. Bei aller Trauer,
die wir wegen der ausgefallenen Gottesdienste durchleiden mussten, erzähle ich Ihnen
noch eine Geschichte, die ich wiederum von einem jungen Pfarrer unseres Bistums
übermittelt bekam: „In Ägypten ließ der muslimische Herrscher Kalif Al-Hakim für
neun Jahre alle Kirchen schließen. Eines Tages ging er in den Straßen der Christen
spazieren. Aus jedem Haus hörte er die Christen beten und Gott loben. Da befahl er:
„Öffnet die Kirchen wieder und lasst die Christen beten, wie sie möchten. Ich wollte in
jeder Straße eine Kirche schließen, doch nun musste ich feststellen, dass ich eine neue
Kirche in jedem Haus eröffnet habe.“ Wie schön wäre das auch bei uns!
gegenwärtig in einem Boot. Corona
zwingt uns dazu. Auch wir sind dabei.
Dieser Sonntag steht schon unter dem Eindruck der sog. „neuen Normalität“. In
unseren Kirchen soll und darf es bald wieder öffentliche Gottesdienste geben, wenn
auch im kleinen, bescheidenen Rahmen. Darüber freuen wir uns. Wir sitzen alle in
einem Boot mit den Jüngern von damals, den Fischern am See von Tiberias. „Ich gehe
fischen“ ruft Petrus seinen Kollegen zu, und ganz spontan antworten sie: „Wir
kommen auch mit!“ Rückkehr in die Normalität nennen wir das heute, zweitausend
Jahre danach, in Corona-Zeiten! Rückkehr in die Normalität: Geht das überhaupt?
Können wir einfach so weitermachen wie zuvor? Dürfen wir das Schiff der Kirche so
weiterlaufen lassen, wie wir das gewohnt waren? Welchen Kurs sollen wir nehmen,
damit die Kirche das Evangelium heute voranbringen kann? Fragen über Fragen!
2
Ich finde, dass es so nicht einfach weitergehen kann. Corona ist für mich ein Wink von
oben, ein Fingerzeig von Gott. „Rückkehr in die Normalität“ heißt eben nicht, einfach
Eine Zeit zum Zwischenruf
Predigt von Dr. Bertram Meier, Apostolischer Administrator, am 3. Ostersonntag, 26. 4. 2020
Werft noch einmal die Netze aus! Dem Evangelium der Auferstehung geht es wie
diesem neuen Morgen. Er dämmert ganz langsam. Die Osterbotschaft ist nicht so
greifbar wie die Wunder und Taten zu Jesu Lebzeiten. Jesus lässt sich nicht festhalten.
Er lässt sich von uns auch nicht in die Tasche stecken, selbst wenn wir das mit der
Hostie gern machen würden. Das Erkennen des Auferstandenen ist mühsam und
anstrengend – damals und jetzt. Es braucht viele Begegnungen, Einzelgespräche,
geduldiges Tasten und Spüren in das Geheimnis hinein. Daher bin ich – im Nachhinein
betrachtet – für die zurückliegenden Wochen sogar sehr dankbar. Noch kaum zuvor in
meiner Zeit als Diakon, Priester und Seelsorger wurden mir so viele Zeiträume
geöffnet, um nachzudenken und zu beten, um zu telefonieren und Briefe zu schreiben,
um Emails zu beantworten und für die Zukunft Pläne zu schmieden, die hoffentlich
dem Willen Gottes entsprechen.
Nun deutet sich allmählich Licht im Corona-Tunnel an. Es dämmert – langsam, aber
sicher: Der Herr lebt, damals wie heute. Wie den sieben Jüngern an jenem Morgen.
Als Urgemeinde sitzen sie in einem Boot. Sieben Jünger – sieben wie die Gemeinden
der Geheimen Offenbarung; die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Sieben ist eine
heilige Zahl. Sie meint die Fülle, die Vollkommenheit, das allumfassend Ganze. So
sitzen wir alle in einem Boot. Die ganze Welt sitzt gegenwärtig in einem Boot. Corona
zwingt uns dazu. Auch wir sind dabei.
Dieser Sonntag steht schon unter dem Eindruck der sog. „neuen Normalität“. In
unseren Kirchen soll und darf es bald wieder öffentliche Gottesdienste geben, wenn
auch im kleinen, bescheidenen Rahmen. Darüber freuen wir uns. Wir sitzen alle in
einem Boot mit den Jüngern von damals, den Fischern am See von Tiberias. „Ich gehe
fischen“ ruft Petrus seinen Kollegen zu, und ganz spontan antworten sie: „Wir
kommen auch mit!“ Rückkehr in die Normalität nennen wir das heute, zweitausend
Jahre danach, in Corona-Zeiten! Rückkehr in die Normalität: Geht das überhaupt?
Können wir einfach so weitermachen wie zuvor? Dürfen wir das Schiff der Kirche so
weiterlaufen lassen, wie wir das gewohnt waren? Welchen Kurs sollen wir nehmen,
damit die Kirche das Evangelium heute voranbringen kann? Fragen über Fragen!
2
Ich finde, dass es so nicht einfach weitergehen kann. Corona ist für mich ein Wink von
oben, ein Fingerzeig von Gott. „Rückkehr in die Normalität“ heißt eben nicht, einfach
so weitermachen wie bisher: Aufgeschobenes nachholen, Sakramente weiter so
spenden wie gehabt, Seelsorge in ausgetretenen Bahnen praktizieren, wie wir das eh
und je gewohnt sind. Es gibt kein Vorwärts in die Vergangenheit!
Deshalb gebe ich Ihnen ein paar Fragen zum Weiterdenken mit:
- Bald wird für Gottesdienste geöffnet – aber mit begrenzten Zahlen: Sollen wir
wieder hl. Messen – so wesentlich sie für uns als sakramentale Kirche sind –
feiern, auch wenn die Bankreihen nur spärlich besetzt sind, hl. Messen zu jeder
passenden und unpassenden Gelegenheit? Nicht jeder Anlass braucht die
Eucharistie; auch alternative Gottesdienstformen sind wichtig und geeignet,
beim jeweiligen Fest Gott die Ehre zu geben und Leute zusammenzuführen. - Sollen wir weiter so, weil es Tradition ist, die Sakramente mit Getauften feiern,
die erst noch den Glauben im Alltag entdecken und leben müssen? - Läuft nicht eine hl. Messe mit Abstandsregeln, Mundschutz und eventuellen
Kommunionzangen Gefahr, zum „Krampf“ zu werden, wie es Bischof Gerhard
Feige drastisch formuliert hat? Angesichts der Nöte und Leiden derer, die um
ihr eigenes Leben oder das von Verwandten bangen müssen, seien die
Gottesdienstausfälle doch eher Luxusprobleme, meint der für die Ökumene in
Deutschland zuständige Bischof von Magdeburg.
Als Priester, der ich nun bald 35 Jahre im Dienst des Herrn bin, möchte ich das
tägliche Brot der Eucharistie nicht missen. Für mich ist die Feier der Eucharistie
Quelle und Höhepunkt meines Lebens als Christ. Deshalb ist es unter meiner Würde,
diese Frage zum Kampfplatz um die Religionsfreiheit zu machen. Es gibt so viele
Weisen zu kommunizieren: natürlich ganz oben die hl. Kommunion – Jesus Christus,
real präsent in Brot und Wein; dann aber auch die Gemeinschaft, Kommunion im Wort
der Heiligen Schrift; schließlich die Kommunikation untereinander als Leib Christi.
Unsere Gemeinden sind nicht nur eine horizontale Gemeinschaft, sie sind Leib Christi
und wir sollen dabei lebendige Glieder sein. Wenn ich kommuniziere – und ich tue das
z.Zt. stellvertretend für die vielen, die es leibhaft derzeit nicht können, dann sage ich
mir: Christi Leib für dich, und antworte unhörbar: Christi Leib in dir! Diese Erfahrung
wünsche ich auch Ihnen.
3
Doch kehren wir zum See Tiberias zurück! Mit den Jüngern sitzen wir in einem Boot.
Und wir versuchen, das Schiff der Kirche durch die Corona-Krise und die Fluten der
weiteren Geschichte zu steuern: alle Christen, die Kirche sind, die Verantwortlichen
und die Weisen (was ja nicht immer die gleichen sind), die Cleveren und die Trägen,
die ewig Gestrigen und die scheinbar Liberalen, diejenigen, die sich der Anbetung und
dem Lobpreis verschrieben haben und auch die mehr im aktiven Leben stehen, die
Engagierten und alle, die einfach so mitlaufen – wir alle also. Und wir sind heute oft
so erfolgreich wie die Jünger als Fischer in jener Nacht, in der sie nichts gefangen
haben. Ob sie sich schon damals nicht einig waren, welche Richtung das Boot nehmen
soll, wer weiß. Die Netze unseres Glaubens sind meist leer und treiben an der
Oberfläche. Doch die vergangenen Wochen haben vielen neuen Tiefgang gebracht. Ich
weiß von Zuschriften, dass es Menschen gibt, die in der Heiligen Woche das Leiden,
Sterben und die Auferstehung des Herrn in ganz neuer und profunder Weise gefeiert
haben. Ist das nicht ein gutes Zeichen, ja ein Potential für die Zeit danach? Ich hoffe
es. Corona ist für mich, für die ganze Kirche eine Zeit zum Zwischenruf: Ihr könnt
nicht mehr so weitermachen wie zuvor! Steckt eure Köpfe zusammen und bewegt eure
Hände und Füße, um dem Evangelium neue Wege zu den Menschen zu bahnen – nicht
nur zu denen, die sowieso schon drinnen sind, sondern auch zu denen draußen auf
hoher See!
Die Frage, die mich auch für den künftigen Weg des Bistums bewegt, ist: Wie können
wir diese Menschen auf hoher See auffangen, wie können wir sie nähren mit dem Brot
des Lebens im Wort und in der Hostie, aber auch: Womit speisen wir sie ab? Was sind
Angebote, deren Verfallsdatum längst abgelaufen ist? Wie können wir die Menschen
tränken mit dem Wasser des Lebens, dass sie sich taufen lassen oder das Geschenk der
empfangenen Taufe noch einmal neu für sich entdecken?
Ich lege Ihnen diese Fragen heute ans Herz. Jetzt ist eine Zeit zum Zwischenruf, nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Quo vadis, Ecclesia? Kirche, wohin gehst du? Dieser
Zwischenruf könnte auch den Synodalen Weg betreffen, zu dem wir aufgebrochen
sind. Aber vielleicht sind jetzt durch diesen Corona-Zwischenruf neue Themen dran –
Themen, die dem Schiff der Kirche mehr geistlichen Tiefgang geben, ohne die anderen
einfach von der Tagesordnung zu streichen. Ein großes Hoffnungszeichen für mich ist,
dass viele Menschen vom Glück erzählen, das ihnen die Hauskirche geschenkt hat.
4
Wohlgemerkt: Hauskirche, nicht Wohnzimmer- oder Kuschelkirche. Bei aller Trauer,
die wir wegen der ausgefallenen Gottesdienste durchleiden mussten, erzähle ich Ihnen
noch eine Geschichte, die ich wiederum von einem jungen Pfarrer unseres Bistums
übermittelt bekam: „In Ägypten ließ der muslimische Herrscher Kalif Al-Hakim für
neun Jahre alle Kirchen schließen. Eines Tages ging er in den Straßen der Christen
spazieren. Aus jedem Haus hörte er die Christen beten und Gott loben. Da befahl er:
„Öffnet die Kirchen wieder und lasst die Christen beten, wie sie möchten. Ich wollte in
jeder Straße eine Kirche schließen, doch nun musste ich feststellen, dass ich eine neue
Kirche in jedem Haus eröffnet habe.“ Wie schön wäre das auch bei uns!
so weitermachen wie bisher: Aufgeschobenes nachholen, Sakramente weiter so
spenden wie gehabt, Seelsorge in ausgetretenen Bahnen praktizieren, wie wir das eh
und je gewohnt sind. Es gibt kein Vorwärts in die Vergangenheit!
Deshalb gebe ich Ihnen ein paar Fragen zum Weiterdenken mit:
- Bald wird für Gottesdienste geöffnet – aber mit begrenzten Zahlen: Sollen wir
wieder hl. Messen – so wesentlich sie für uns als sakramentale Kirche sind –
feiern, auch wenn die Bankreihen nur spärlich besetzt sind, hl. Messen zu jeder
passenden und unpassenden Gelegenheit? Nicht jeder Anlass braucht die
Eucharistie; auch alternative Gottesdienstformen sind wichtig und geeignet,
beim jeweiligen Fest Gott die Ehre zu geben und Leute zusammenzuführen. - Sollen wir weiter so, weil es Tradition ist, die Sakramente mit Getauften feiern,
die erst noch den Glauben im Alltag entdecken und leben müssen? - Läuft nicht eine hl. Messe mit Abstandsregeln, Mundschutz und eventuellen
Kommunionzangen Gefahr, zum „Krampf“ zu werden, wie es Bischof Gerhard
Feige drastisch formuliert hat? Angesichts der Nöte und Leiden derer, die um
ihr eigenes Leben oder das von Verwandten bangen müssen, seien die
Gottesdienstausfälle doch eher Luxusprobleme, meint der für die Ökumene in
Deutschland zuständige Bischof von Magdeburg.
Als Priester, der ich nun bald 35 Jahre im Dienst des Herrn bin, möchte ich das
tägliche Brot der Eucharistie nicht missen. Für mich ist die Feier der Eucharistie
Quelle und Höhepunkt meines Lebens als Christ. Deshalb ist es unter meiner Würde,
diese Frage zum Kampfplatz um die Religionsfreiheit zu machen. Es gibt so viele
Weisen zu kommunizieren: natürlich ganz oben die hl. Kommunion – Jesus Christus,
real präsent in Brot und Wein; dann aber auch die Gemeinschaft, Kommunion im Wort
der Heiligen Schrift; schließlich die Kommunikation untereinander als Leib Christi.
Unsere Gemeinden sind nicht nur eine horizontale Gemeinschaft, sie sind Leib Christi
und wir sollen dabei lebendige Glieder sein. Wenn ich kommuniziere – und ich tue das
z.Zt. stellvertretend für die vielen, die es leibhaft derzeit nicht können, dann sage ich
mir: Christi Leib für dich, und antworte unhörbar: Christi Leib in dir! Diese Erfahrung
wünsche ich auch Ihnen.
3
Doch kehren wir zum See Tiberias zurück! Mit den Jüngern sitzen wir in einem Boot.
Und wir versuchen, das Schiff der Kirche durch die Corona-Krise und die Fluten der
weiteren Geschichte zu steuern: alle Christen, die Kirche sind, die Verantwortlichen
und die Weisen (was ja nicht immer die gleichen sind), die Cleveren und die Trägen,
die ewig Gestrigen und die scheinbar Liberalen, diejenigen, die sich der Anbetung und
dem Lobpreis verschrieben haben und auch die mehr im aktiven Leben stehen, die
Engagierten und alle, die einfach so mitlaufen – wir alle also. Und wir sind heute oft
so erfolgreich wie die Jünger als Fischer in jener Nacht, in der sie nichts gefangen
haben. Ob sie sich schon damals nicht einig waren, welche Richtung das Boot nehmen
soll, wer weiß. Die Netze unseres Glaubens sind meist leer und treiben an der
Oberfläche. Doch die vergangenen Wochen haben vielen neuen Tiefgang gebracht. Ich
weiß von Zuschriften, dass es Menschen gibt, die in der Heiligen Woche das Leiden,
Sterben und die Auferstehung des Herrn in ganz neuer und profunder Weise gefeiert
haben. Ist das nicht ein gutes Zeichen, ja ein Potential für die Zeit danach? Ich hoffe
es. Corona ist für mich, für die ganze Kirche eine Zeit zum Zwischenruf: Ihr könnt
nicht mehr so weitermachen wie zuvor! Steckt eure Köpfe zusammen und bewegt eure
Hände und Füße, um dem Evangelium neue Wege zu den Menschen zu bahnen – nicht
nur zu denen, die sowieso schon drinnen sind, sondern auch zu denen draußen auf
hoher See!
Die Frage, die mich auch für den künftigen Weg des Bistums bewegt, ist: Wie können
wir diese Menschen auf hoher See auffangen, wie können wir sie nähren mit dem Brot
des Lebens im Wort und in der Hostie, aber auch: Womit speisen wir sie ab? Was sind
Angebote, deren Verfallsdatum längst abgelaufen ist? Wie können wir die Menschen
tränken mit dem Wasser des Lebens, dass sie sich taufen lassen oder das Geschenk der
empfangenen Taufe noch einmal neu für sich entdecken?
Ich lege Ihnen diese Fragen heute ans Herz. Jetzt ist eine Zeit zum Zwischenruf, nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Quo vadis, Ecclesia? Kirche, wohin gehst du? Dieser
Zwischenruf könnte auch den Synodalen Weg betreffen, zu dem wir aufgebrochen
sind. Aber vielleicht sind jetzt durch diesen Corona-Zwischenruf neue Themen dran –
Themen, die dem Schiff der Kirche mehr geistlichen Tiefgang geben, ohne die anderen
einfach von der Tagesordnung zu streichen. Ein großes Hoffnungszeichen für mich ist,
dass viele Menschen vom Glück erzählen, das ihnen die Hauskirche geschenkt hat.
4
Wohlgemerkt: Hauskirche, nicht Wohnzimmer- oder Kuschelkirche. Bei aller Trauer,
die wir wegen der ausgefallenen Gottesdienste durchleiden mussten, erzähle ich Ihnen
noch eine Geschichte, die ich wiederum von einem jungen Pfarrer unseres Bistums
übermittelt bekam: „In Ägypten ließ der muslimische Herrscher Kalif Al-Hakim für
neun Jahre alle Kirchen schließen. Eines Tages ging er in den Straßen der Christen
spazieren. Aus jedem Haus hörte er die Christen beten und Gott loben. Da befahl er:
„Öffnet die Kirchen wieder und lasst die Christen beten, wie sie möchten. Ich wollte in
jeder Straße eine Kirche schließen, doch nun musste ich feststellen, dass ich eine neue
Kirche in jedem Haus eröffnet habe.“ Wie schön wäre das auch bei uns!